Crime and Punishment
für Apple II

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Mr Creosote:
Firma: Imagic
Jahr: 1984
Genre: Denkspiel
Thema: Lernspiel / Einzigartig / Textbasiert
Sprache: English
Lizenz: Kommerziell
Aufrufe: 608
Rezension von Mr Creosote (08.06.2024)
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Imagic, berühmt geworden durch das ultra-erfolgreiche Atlantis, versuchte nach dem nordmerikanischen Videospielcrash den Sprung auf Heimcomputer… und hätte mit Crime and Punishment kaum radikaler mit ihren eigenen Actionwurzeln brechen können. Einer praktisch komplett in Text ablaufenden Simulation des Berufsrichtertums, die für sich in Anspruch nimmt, auf Basis ernsthafter Recherche entstanden zu sein und realistische Themen abzubilden. Bis heute ziemlich einzigartig. Wobei in jedem Fall das Urteil „schuldig“ bereits gesprochen ist. Es geht nur noch darum, die Höhe der Strafe festzulegen. Bewährung, Gefängnis (und wie lange) oder – wir befinden und in Nordamerika – Todesstrafe?

Zu diesem Zweck liest man sich also in ein paar Aspekte des jeweiligen Falles ein. Hat der Verurteilte Vorstrafen? Was war die Beziehung zum Opfer? Nicht alles ist je nach Fall relevant. Geht es beispielsweise um Urkundenfälschung, ist die Tat-„Waffe“ vielleicht nicht von großem Belang. Nachdem man sein Urteil schließlich eingetippt hat, wird es mit dem – so behauptet das Spiel – eines echten Richters verglichen. Je näher man daran liegt, desto mehr Punkt gibt es, wobei die Punktzahl nochmal damit gewichtet wird, wie viele Fakten man dazu abgefragt hat. Je weniger, desto besser.

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Nun muss man sich vergegenwärtigen, dass in den USA ein grundlegend anderes Rechtssystem herrscht als in den deutschsprachigen Ländern. Bei uns, wie [url=https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtskreis#R%C3%B6misch-germanischer_Rechtskreis]in den meisten Rechtsstaaten, werden Strafmaße durch das gebrochene Gesetz selbst vorgegeben. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis gilt dagegen das Richterrecht. Letztlich dürfen Richter also frei über Strafmaße entscheiden, sollten sich dabei jedoch an Präzedenzfällen orientieren. Also einfach ausgedrückt: Wenn in der Vergangenheit ein Kollege bereits mal derart geurteilt hat, wird das schon richtig sein.

Dass das Spiel Urteile vergleicht, ergibt also Sinn. Das Spiel merkt sich, was der Spieler für den aktuellen Fall bereits nachgeschlagen hat, und fasst es auf Verlangen sehr praktisch zusammen. In einer Datenbank nach Präzedenzfällen zu suchen, ermöglicht es jedoch nicht. Ob das nun besonders unterhaltsam gewesen wäre, sei mal dahingestellt. Jedoch bedeutet es ganz konkret, dass der Spieler eine lange Zeit ziemlich im Dunkeln tappt. Die Anzahl der „spielbaren“ Fälle ist ziemlich groß; bevor einer zweimal auftaucht, muss schon einige Zeit vergehen. Was Fluch und Segen ist, denn bis das geschieht, kann man eigentlich nur raten.

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Ist es überhaupt möglich, diese orientierungslose Phase hinter sich zu lassen? Die Fakten, die pro Fall angeboten werden, sind ohnehin ziemlich beschränkt. Es stellt sich nie das Gefühl ein, informierte Entscheidungen zu treffen. Nimmt man die Sache ernst, was einem vom länglichen (optionalen) Eingangstext nahegelegt wird, dann bleibt immer der Beigeschmack, gerade über Menschen zu richten, die man nie getroffen, von denen man gerade mal einen einzigen Satz zu lesen bekommen hat. Deren Verhalten während der Verhandlung, bei der Zeugenbefragung, bei Beschuldigungen, man nicht gesehen hat. Usw. Höchst unangenehm.

Und vielleicht noch wichtiger bedeutet dies, dass die Fälle niemals so richtig mit Leben gefüllt werden. Sie zu studieren, ist nicht besonders interessant. Was leider in einem Teufelskreis endet: Anfangs bleibt einem keine Wahl als ein Urteil zufällig zu wählen, was mit wachsender Spielerfahrung besser werden könnte. Doch die erlangt man wahrscheinlich gar nicht, denn wer will schon oberflächliche Fallbeschreibungen ohne menschliche Note, ohne Drama lesen, wochenlang, nur um dann irgendwann ein vorgegebenes Urteil reproduzieren zu können?

Doch selbst, wenn dieses Spiel zum Hit geworden wäre, hätte das Imagic wahrscheinlich auch nicht mehr retten können. Kurz darauf mussten sie ihre Tore schließen.

Kommentare (1) [Kommentar schreiben]

Mr Creosote:
Ab auf den elektrischen Stuhl mit ihm! Nächster Fall. Elektrischer Stuhl! Nächster. Stuhl! Hat da etwas jemand behauptet, die Arbeit eines Richters könne keinen Spaß machen? Und was Spaß macht, verdient auch der Umsetzung in ein Computerspiel. Crime and Punishment – wenn das sich nicht nach Spaß anhört, dann weiß ich auch nicht mehr.
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