Spiral
für Interpreter (Z-Code)

Mr Creosote:
Firma: Justin Morgan
Jahr: 2012
Genre: Adventure
Thema: Horror / Mythen und Sagen / Textbasiert
Sprache: English
Lizenz: Freeware
Aufrufe: 16327
Rezension von Mr Creosote (05.11.2012)
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Oh Mann… das wird hart. Justin Morgan ist beispielsweise für das entzückend alberne The Bible Retold: Following a Star verantwortlich, einem der besten Spiele der 2010er IF-Competition. Diesmal darf man dem Klappentext glauben, hat er sich an psychologischem Horror versucht. Ein ziemlicher thematischer und stilistischer Sprung! Oder vielleicht doch gar nicht mal so sehr, denn bei Spielen stellen sich zumindest thematisch mehr Verbindungen her, als einem lieb ist.

Fangen wir mal mit den guten Nachrichten an: Spiral macht mal wieder vor, wie man ein Spiel hervorragend implementiert und es bedient sich sogar einer interessanten Spielmechanik. Das Spiel beginnt damit, dass die beiden Protagonisten, die sich vorher nie begegnet sind, zusammen in einem Bahnwagen gefangen und gefesselt sind. Der Spieler kann nach Belieben zwischen den beiden wechseln und das eigentliche Spiel spielt sich dann, da die direkten Aktionsmöglichkeiten in dem Wagen natürlich beschränkt sind, in den Albtraumwelten der beiden ab. Der Trick dabei: Obwohl es sich um unterschiedliche „Welten“ handelt, können die Protagonisten sich gegenseitig helfen; nicht nur Objekte (die sich beim Weltenübergang subtil verändern, sich also an die mentale Umgebung des anderen anpassen) austauschen können sie, sondern manche Aktionen in der einen Welt beeinflusst auch direkt die des anderen, wie beispielsweise in Form eines sich neu auftuenden Weges. Die Rätsel drehen sich häufig um einfallsreiche Traumlogik. Diese Gimmicks machen das Spiel motivierend – dafür gibt es sehr gute Noten!

Doch wir kommen nicht drumherum, auch klar zu sagen, dass dieses Spiel eines der großen Probleme der IF-Competition im Allgemeinen allzu deutlich zeigt: Symbolik und Themenauswahl. Warum bloß fühlen sich jedes Jahr gleich mehrere Autoren verpflichtet, sich in Bereiche völlig überreizter Symbolik und bleischwerer Moralapostelthemen zu begeben? Denn beide Protagonisten plagt unglaubliche Schuld: Ross war in einer Umweltschutzgruppe aktiv, die militant wurde und er konnte nicht den Bombenanschlag auf eine volle U-Bahn verhindern. Ach, und seine Mutter ist gestorben. Buhuu. Helen war irgendwie in einer fundamentalistisch-christlichen Gruppierung involviert, die sie wie eine heiße Kartoffel fallengelassen hat, als sie (unverheiratet) schwanger wurde. Oh, und sie hat das Kind entweder durch ihre Drogenabhängigkeit verloren oder sogar Selbstmord begangen. Ebenfalls Buhuu.

Beide Traumwelten sind entsprechend der jeweiligen moralischen Problematiken aufgebaut. Ross stolpert in einer Welt herum, die von einer allesfressenden Maschine zerstört wird. Helen ist in einer Hölle gefangen, die an Dantes Inferno erinnert, während Projektionen ihrer früheren religiösen Freunde sie von einer Wolke aus mit Verachtung strafen. Man denke an I Have No Mouth, and I Must Scream, und dieser Eindruck setzt sich auch bei den akuten Spielzielen fort: Beide müssen ihre Seele/ihr Gewissen/ihr Leben wiederfinden, indem sie zentrale Szenen ihres Lebens nochmal symbolisch durchleben, d.h. sie müssen sich ihren Ängsten stellen, die sie wahrscheinlich lieber tief in ihrem Unterbewusstsein vergraben sähen.

Doch diese Konfrontationen sind einfach… übertrieben. Extrem übertrieben! Jeder Ort, jedes Objekt, ja sogar jedes verwendete Wort scheint mit Bedacht ausgewählt, etwas zu „bedeuten“. Wie ein Vorschlaghammer prügelt die Moralkeule auf den Spieler ein! Und wenn man genauer hinguckt, noch nicht mal mit großer Konsistenz. Beispielsweise Helen: Von der Doppelmoral religiöser Eiferer wurde sie enttäuscht. Ihre eigene christliche Prägung ist trotzdem so stark, dass ihre eigene Hölle entsprechend dieser Mythologie gestaltet ist. Soweit, so logisch. Doch das „gute“ Ende (soweit dieses überhaupt verständlich ist – es wird alles sehr schwammig gegen Ende) baut dann genau auf dieser gleichen Mythologie auf? Hä?

Überhaupt ist es das große Problem des Spiels, dass im Bezug auf die christliche Mythologie nicht die Waage gehalten wird. Diese beschränkt sich nicht auf Helens Traumwelt, wo sie insofern Sinn ergibt, dass eben jeder seine eigene Hölle definiert, sondern sie sickert mehr als deutlich auch in die anderen Spielbereiche über, so dass sie einen viel universelleren Stellenwert erhält, als sie sollte. Das könnte funktionieren, wenn die Dämonen beider Protagonisten langsam auch in den Welten des jeweils anderen sowie auf dem „neutralen Boden“ des Zuges erschienen. Das wäre dann insofern interessant, dass es eine Fortsetzung des Gedankens der gegenseitigen Unterstützung, der Annäherung der beiden aneinander wäre. Doch davon ist nichts zu sehen – es geht nur in die eine Richtung.

So leid es mir also tut, dies ist eines dieser typischen übermoralistischen Spiele, die sich an ernsten Themen versuchen, aber dabei viel zu weit gehen. Nicht nur manchmal ist weniger mehr! Aus der durchdachten und durchaus sogar noch erweiterbaren Spielmechanik hätte man ein wirklich hervorragendes Spiel machen können, das auch ruhig vorsichtig moralische Themen hätte ansprechen können. Doch stattdessen ist es einfach nur unnötig und unangenehm moralisierend – was, wenn man das Schicksal eines der Charaktere bedenkt, doch sehr ironisch ist.

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