The Sentinel

Andere Titel:
The Sentry
Firma:
Firebird
Jahr:
1986
System:
C64
Genres:
Action / Denkspiel
Tag:
Abstrakt
Sprache:
Englisch
Mittlere Wertung:
5/5

Meinung damals

The Sentinel ist ein mittleres Meisterwerk, sowohl was die Spielidee als auch deren Umsetzung angeht. Was der Programmierer in den Speicher gequetscht hat, sucht seinesgleichen. […] Die 3D-Grafik der getesteten C64-Version ist faszinierend. […] Wenn man in einem Tal steht, immer höher blickt und schließlich auf der Spitze des Berges den düsteren Sentinel stehen sieht, wirkt das sehr beeindruckend. The Sentinel ist ein innovatives Denkspiel, das ich nur ausdrücklich empfehlen kann. Wer eine anspruchsvolle Alternative zum Päng-Bumm-Aua-Tot der meisten Computerspiele sucht, wird von diesem Programm begeistert sein.

Heinrich Lenhardt, Happy Computer Sonderheft 17 

Fast frei Jahre ist es nun schon her, daß die erste Fassung von diesem Spiel erschienen ist, und mittlerweile finde ich das Spielprinzip nicht mehr ganz zeitgemäß. Als Umsetzung für den PC ist Sentinel sicherlich ein dankbares Objekt, müssen doch technische Besonderheiten nicht beachtet werden: Acht Farben, eine müde Scrollroutine und eine (zum Glück) kurze, kratzige Titelmelodie runden diese 1:1-Umsetzung ab. Für Historiker und Nostalgiefans unbedingt geeignet!

Michael Suck, ASM 10/89 

Bericht von Mr Creosote (19.11.2022) – C64

In den 20 Jahren, in denen er in der Computerspielindustrie aktiv war, eine Ewigkeit in dieser Branche, gelang es Geoff Crammond, alles was er anfasste zu Gold zu machen. Trotzdem sticht ein Spiel aus seinem sonstigen Œuvre hervor. Natürlich wird er immer der Rennsimulationstyp bleiben (Stunt Car Racer, Formula One Grand Prix). Doch am Anfang seiner Karriere legte er mit The Sentinel ein Spiel vor, das viel weniger in unserer Realität verhaftet ist.

Ursprünglich auf dem britischen BBC Micro entwickelt portierte Crammond sein Spiel kurz darauf auf den international verbreiteteren C64. Das Spielprinzip ist hochabstrakt. Es gibt eine effektiv unendliche Anzahl von Spielwelten (genau 10000). Jede wird von einem Sentinel beherrscht, einem robotisch anmutenden Wesen, das auf dem höchsten Punkt jeder Landschaft thront. Dem Spieler obliegt es nun, dieses Wesen zu stürzen, seine Energie zu absorbieren und seinen Platz einzunehmen. Aus Gründen.

Sieht noch einigermaßen übersichtlich aus
Sieht noch einigermaßen übersichtlich aus

Etwas Greifbares zu gewinnen oder erobern gibt es auf diesen Welten nicht. Die Landschaft setzt sich aus Schachbrettmustern zusammen. Jedes Feld hat eine Höhenstufe. Gezeichnet wird alles als gefüllte Vektorgrafik. Speichereffizient, wie natürlich absolut notwendig zu der Zeit. Die einzigen lebendigen Objekte sind Bäume… und dann sind da noch der Sentinel sowie seine Wachen.

Angesichts der 3D-Perspektive aus den Augen des Spielerroboters sowie dem Echtzeitablauf könnte man The Sentinel also für einen frühen 3D-Shooter, wie sie ab Mitte der 1990er Jahre populär wurden, halten. Der Twist an der Sache ist jedoch, dass der Spieler seinen Roboter gar nicht bewegen kann. Stattdessen dreht sich alles um Energie. Bäume und andere Wesen können absorbiert werden, um den Energievorrat zu erhöhen. Verwendet wird diese Energie, um neue Roboterhüllen auf anderen Feldern zu erschaffen, in die man sein Bewusstsein dann transferiert, oder auch Bäume und Felsen.

Das Springen von Hülle zu Hülle ist somit der einzige Weg, sich langsam an den Sentinel heranzutasten. Spieler und Gegner sind darüber hinaus einer weiteren Regel unterworfen: Absorbieren kann man nur, wessen Bodenfeld man sieht. Eine Baumkrone zu sehen ist nicht genug. Da hilft das Stapeln von Steinhaufen, um sich langsam und vorsichtig nach oben zu schleichen.

Hier gibt's nichts zu holen
Hier gibt’s nichts zu holen

Jene Einschränkung mag neue Spieler zuerst verwirren, aber tatsächlich steht und fällt das gesamte Spiel hiermit. Der Sentinel steht immer ganz oben und hat somit beinahe perfekten Überblick. Könnte er den Spieler, sobald er ihn sieht, aussaugen, wäre es unschaffbar. Der Trick liegt also darin, einen Weg durch das Level zu finden, auf dem man vielleicht nicht ganz unsichtbar, aber immerhin geschützt vor den tödlichen Blicken bleibt. Also bewegt man sich entweder in der Nähe steiler Hänge oder baut ganz bewusst wo nötig Sichtbarrieren auf.

Das, sowie das Gleichgewicht zwischen Energieverbrauch und -gewinn, benötigt genaueste Planung. Zum Glück pfuscht immerhin der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nicht dazwischen; die Gesamtmenge an der in der Welt vorhandenen Energie bleibt erstmal die gleiche. So bleibt es oft eine Möglichkeit, wenn man beispielsweise in eine Sackgasse gelaufen ist, wieder umzukehren. Nur dem Sentinel selbst ist es möglich, der Welt Energie endgültig zu entziehen, indem er die Reserven des Spielers anzapft.

Im krassen Kontrast zu diesem grüblerischen Grundgedanken steht dann allerdings der Echtzeitablauf sowie, sogar noch nervenaufreibender, der Blick aus erster Person. The Sentinel schuf eine ungekannt intensive Atmosphäre von Verfolgungswahn und Paranoia. Wird sich der Sentinel oder ein Wächter zu mir umdrehen und mich bemerken? Vielleicht ist da schon jemand direkt hinter mir ich ich habe es noch nicht einmal bemerkt? Sobald man entdeckt ist, beginnt eine Anzeige zu vibrieren. Der knirschende Begleitsound sticht ganz besonders deshalb hervor, da ansonsten weitgehend sphärische Stille herrscht. So schlug die ohnehin hohe Anspannung schnell in blanke Panik um.

Zwei Gegner reif zum Abschuss
Zwei Gegner reif zum Abschuss

Aus heutiger Sicht sehen die dreidimensionalen Vektorlandschaften sogar noch kahler aus. Nur das Farbschema wechselt von Zeit zu Zeit. Die eckigen geometrischen Formen wirken harsch, fremdartig und feindlich. Der C64 war für derartige Technik nicht gemacht, sondern vielmehr auf die Darstellung von Pixelsprites optimiert. Entsprechend langsam bewegt sich alles. Man muss sich eher fragen, mit welchen Tricks Crammond überhaupt diese einigermaßen akzeptable Performance erreicht hat. Allerdings macht die Langsamkeit die Sache vielleicht sogar noch intensiver. Na los, dreh dich endlich! Ungeduldige Naturen sollten vielleicht mal nach einem der vielen Remakes Ausschau halten.

Original oder Remake, Technik hin oder her, die hochabstrakte theoretische Aufgabe, sich durch abstrakte, leblose Landschaften zu bewegen, wird mit jeder Menge impliziter klaustrophobischer Bedeutung aufgeladen. Jedes Level endet entweder mit der Verzehrung des Spielers oder des Sentinels. Sobald der Erzfeind aufgesaugt wurde, springt auch der Spieler sofort in die nächste Welt. Schließlich ist die Aufgabe in der letzten erfüllt. Dort gibt es nichts mehr zu tun, eine gewonnene Welt hat ihre Funktion verloren. Nur in der schleicherischen Konfrontation, in dem Machtspiel, liegt die Daseinsberechtigung dieser Wesen. Hier wird’s beinahe philosophisch. The Sentinel ist und bleibt ein Meisterwerk dank seines makellosen Spieldesigns.

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