Bericht von Mr Creosote (22.06.2003) – Amiga (CDTV)
Es ist Jahre her, dass Ned Peters das letzte Mal von seinem alten Kriegskameraden Bronson Barnard gehört hat. Die beiden waren 1917 zusammen über Frankreich geflogen. Nach dem Krieg gingen sie jedoch verschiedene Wege. Barnard wurde in der Industrie reich, Peters wurde erst Polizist, dann Privatdetektiv.
Deshalb ist letzterer auch etwas überrascht, als er einen Brief von seinem alten Bekannten erhält. Er lädt ihn ein, am Jungfernflug seiner neuesten Erfindung teilzunehmen: der Condor. Die Condor ist sowas wie die Titanic der Flugzeuge: riesig, schnell und bereit zur Überquerung des Atlantik.
An Bord trifft sich eine illustre, aber seltsam durcheinandergewürfelte Runde: unter anderem eine Zeitungsreporterin, ein spanischer Casanova, ein ägyptischer Prinz, ein Nazioffizier, ein französischer Weinhändler und eine amerikanische Schauspielerin.
Kurz nach dem Start erleidet Barnard plötzlich einen Herzanfall. Das Flugzeug kehrt um. Erst jetzt enthüllt der Gastgeber seinem alten Freund den wahren Grund seiner Einladung: Ein Passagier ist der Mörder von Barnards Sohn, der beim Zoll arbeitete. Er wollte den Täter selbst mit einem großen Knall entlarven, um vor Peters anzugeben. Jetzt liegt es aber am Profi, den Fall doch noch zu Ende zu bringen, also die bisherigen Ermittlungen nachzuvollziehen, und zu vollenden. Er hat jedoch nur 30 Minuten, bis das Flugzeug wieder landet, und der Mörder unerkannt aussteigen wird.
The Case of the Cautious Condor% ist ein „interaktiver Comic“. Die handgezeichneten Bilder werden in sich überlappenden Folgen gezeigt. Man vermisst allerdings die Sprechblasen, denn alle Dialoge sind vollständig vertont, und werden von CD abgespielt. CD? Dies war eines der ersten Spiele für das CDTV (läuft aber auch problemlos auf jedem Amiga mit CD-ROM oder Festplatte), und eines der wenigen, die das Medium überhaupt genutzt haben.
Das Spielprinzip ist schnell erklärt: Man läuft im Flugzeug herum, lauscht den Unterhaltungen der anderen Gäste, durchsucht ihre Kabinen und beschuldigt letztlich einen von ihnen des Mordes – bevor die Zeit abläuft. Wem nun Namen wie Deadline, The Witness und Suspect einfallen, der ist auf dem richtigen Weg. CotCC ist nichts anderes als eine grafische Version dieser Klassiker. Wie bei Deadline kommt es hauptsächlich darauf an, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Nur dann bekommt man die wichtigen Hinweise mit und wird damit den Fall lösen. Anders als bei rätsel-/objektbasierten Adventures muss man das Spiel deshalb mehrmals spielen, um es zu lösen (es sei denn, man hat verdammt viel Glück).
Das ist es aber wert, denn die Detektivgeschichte im 30er-Jahre-Stil ist sehr interessant. Die Charaktere sind clichéhafte Prototypen – genau so sollte es sein. Und obwohl jedes Spiel auf 30 Minuten begrenzt ist, kann man insgesamt länger an diesem Spiel sitzen, als an den meisten anderen Adventures.
Die Sprecher sind alle gut, aber das akustische Englischverständnis wird durch die diversen starken Akzente schon stark gefordert. Die Grafik ist ziemlich gut, hätte aber doch noch um einiges besser sein können. Das Spiel schreit förmlich nach mehr Farben. Es benutzt noch nicht mal die komplette Standardpalette von 32 Farben gleichzeitig! Außerdem beschränkt es sich auf die NTSC-Auflösung von 320x200. Das bei PAL übliche 320x256 hätte schon eine Menge geholfen, ein HAM- oder Halfbrite-Bildschirmmodus (für die technisch weniger bewanderten: Das sind amigaspezifische Bildschirmmodi, die mehr Farben und höhere Auflösungen zulassen) hätte sich förmlich aufgedrängt!
Trotz der leicht enttäuschenden Grafik ist Case of the Cautious Condor ein sehr gutes Detektivadventure, ein würdiger Nachfolger von Infocoms Klassikern. Als CDTV-Spiel ist es besonders beeindruckend, denn auf diesem System ist es beinahe konkurrenzlos! Fast alle Spiele darauf waren entweder schlichte Diskettenumsetzungen (nutzlos) oder schreckliche „Filme“ mit so gut wie keiner Interaktivität (typisches Problem aller frühen CD-ROM-Systeme). CotCC hat sich gut gehalten über die Jahre – ein absolut unterhaltsames Meisterwerk, selbst heutzutage.
Technisches: Wie erwähnt läuft das Spiel in einem NTSC-Bildschirmmodus. Um es zu spielen, muss man seinen Amiga entsprechend so booten (oder den Emulator so einstellen). Ein PAL-Bildschirm bleibt einfach schwarz.