Sherlock Holmes: Crimes and Punishments

Firma:
Frogwares
Jahr:
2014
System:
PC
Genres:
Adventure / Denkspiel
Tag:
Krimi
Sprache:
Englisch
Mittlere Wertung:
4/5

Bericht von LostInSpace (25.08.2020) – PC

Zugegebenermaßen übt der Meisterdetektiv seit jeher eine große Anziehung auf mich aus und die Kritiken zu diesem Spiel hörten sich durchweg äußerst positiv an. Der vorhergehende Teil war schon durchaus empfehlenswert und wurde von mir bereits getestet. Schließlich hat die Neugier dann doch über meine sonstigen Verpflichtungen gesiegt und ich habe die gut 10 Stunden Spielzeit aufgebracht, um die neuesten Entwicklungen in der Verbrechensbekämpfung des Meisterdetektivs nicht zu verpassen. Für Kenner der Reihe sollte man erwähnen, dass bereits noch neuere Entwicklungen in einem Nachfolger dieses immerhin 6 Jahre alten Titels verwirklicht wurden. Ich kann keinesfalls objektiv in meinem Urteil sein, wie jemand der nicht mit den Büchern von Arthur Canon Doyle aufgewachsen ist und bei Meisterdetektiv vielleicht eher an Pikachu denkt.

Natürlich darf man auch in diesem Spiel wieder in die Rolle von Sherlock Holmes schlüpfen und sich in einer – dieses Mal mit der Unreal Engine dargestellten – 3D Umgebung frei bewegen. Während der Dialoge werden dann die Charakterköpfe sehr groß und lebensecht eingeblendet. Teilweise auch so nah, dass man Falten, Verunreinigungen der Haut und vergrößerte Poren beim Alkoholiker deutlich erkennen kann. Im Dialogmodus kann man mit einer Kamerafahrt auch den Rest des Körpers der Person überblicken, so dass Details wie Schmutz am Kragen, ein fehlender Ehering, ein Brief in der Tasche oder ein abgerissener Knopf deutlich werden. Ansonsten sind die Dialoge nur auf das Anklicken eines bestimmten Themas beschränkt und insofern wenig interaktiv.

Die insgesamt 6 anstehenden Fälle werden streng chronologisch respektive sukzessive abgearbeitet und sind durch kleine Zwischensequenzen miteinander verbunden. Meist ruft der Inspektor Lestrade von Scotland Yard Mister Holmes in delikaten Angelegenheiten zu Hilfe. Nach einer kurzen Kutschfahrt zum Tatort wird dieser aufmerksam auf Auffälligkeiten und Hinweisen hin untersucht. Die interaktiven Berührungspunkte werden dabei optisch hervorgehoben, so dass man nicht Gefahr läuft etwas zu übersehen. In einem automatisch geführten Journal erscheinen bei Fortschritten jeweils Einträge zu den geführten Gesprächen, den anstehenden Aufgaben, den aufgenommenen Gegenständen und den freigeschalteten Schauplätzen. Dreh- und Angelpunkt ist die noch aus dem vorhergehenden Titel bekannte und von der Einrichtung her unveränderte Wohnung in der Baker Street. Hier führt Holmes kleine Experimente und Analysen mit den beschafften Beweismitteln durch, holt sich seinen Spürhund Toby zum Erforschen einer Geruchsspur, tarnt sich mit seinen verschiedenen Anzügen, Bärten und Mützen oder schaut ganz einfach in seine Bibliothek aus Briefen, Zeitungsausschnitten und Enzyklopädien. Die ermittelten Spuren und Hinweise verdichten sich schließlich zu konkreten Feststellungen.

Diese werden dann in einem dem Gehirn nachempfundenen Schaubild als Synapse angelegt. Kommen dann noch weitere Synapsen – also bewiesene Tatsachen – hinzu, ergeben sich größere Knotenpunkte. Diese stellen Vermutungen für bestimmte Konstellationen des rekonstruierten Tathergangs dar. Mit anderen Worten: Der Täter wird über eine Kette aus Beweisen dingfest gemacht. Die Besonderheit an diesem Schema ist, dass bereits mit wenigen Synapsen ein Täter überführt werden könnte. Ein ironischer Seitenhieb auf die Arbeitsweise der Polizei. Jedoch kann sich dieses Urteil auch als falsch erweisen. Denn nach tieferem Eindringen in den Fall durch den Meisterdetektiv, werden erst die winzigen aber entscheidenden Details erkennbar. Das ist das gewisse Etwas, was Mister Holmes der gemeinen Polizeiarbeit voraus hat. Und hier liegt auch der Reiz des Spiels. Denn die Fälle haben teilweise mehr als 5 verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Jedoch ist nur ein einzige davon tatsächlich korrekt. Hinzu kommt, dass der Spieler den Umgang mit dem überführten Täter selbst mitbestimmen kann. So kann er tendenziell eher Gnade walten lassen, oder aber mit der harten Hand des Gesetzes durchgreifen. Aus der Lösung und der moralischen Entscheidung ergibt sich am Ende des Spiels dann ein Charakterbild von Sherlock Holmes, wie der Spieler ihn durch seine Entscheidungen profiliert hat. Der wahre Kenner will dem unerreichbaren Vorbild aber möglichst nah kommen und geht jeder noch so abwegigen Spur nach. Die dabei gewonnenen Einsichten sind allein schon Motivation genug, nicht nur an der Oberfläche zu kratzen.

Wie im vorhergehenden Teil sind an verschiedenen Punkten im Spiel kleine Minispielchen und Actionsequenzen eingebaut. Da muss manchmal die Maus hektisch geklickt werden oder ein bestimmtes Timing eingehalten werden. Beim Öffnen von Schlössern darf der Spieler nach einem gleichbleibenden Prinzip vorgehen: Ineinandergesteckte Zylinder müssen durch Drehung in die korrekte Position bewegt werden. Diesem Minispiel begegnet man naturgemäß öfter und die Komplexität des kleinen Rätsels nimmt im Laufe des Spiels allmählich zu. Manchmal ist auch Reaktionsgeschwindigkeit oder Schussgenauigkeit gefragt. Jedes dieser Spielchen kann man überspringen, damit aus dem Adventure kein Action-Adventure wird. Jedoch bekommt man für das Lösen einer bestimmten Anzahl der Spiele Trophäen zuerkannt. Die Minispiele waren für meinen Geschmack sehr ausgewogen und nicht so nervig wie im vorhergehenden Teil. Nur eines davon konnte ich nicht komplettieren, da eine bestimmte Vorgehensweise regelmäßig einen kompletten Absturz der Software auslöste. Ein Bug, der hoffentlich bald behoben wird. Wie auch ein älterer Bug, der die Auto-Save Funktion im dritten Fall betraf.

Die Schauplätze und Szenen kommen dem viktorianischen Zeitgeist sehr nahe, ohne dabei kitschig zu wirken. An den verschiedenen Details ist Kenntnisreichtum und genaue Recherche dieser Zeitepoche durch die Entwickler erkennbar. Die Atmosphäre des ausgehenden 19. Jahrhunderts wird geschmackvoll eingefangen und für den Sherlock-Holmes-Spirit stimmungsmäßig aufbereitet. Die agierenden Figuren sind glaubwürdig und grafisch realistisch in Szene gesetzt. Die Sprachausgabe ist komplett in Englisch mit deutschem Untertitel. Ein ganz fetter Pluspunkt sind die Synchronsprecher. Jede Figur ist allein durch ihre Aussprache und ihr sprachliches Niveau geradezu pedantisch charakterisiert und archetypisch zugespitzt. Der Einsatz von professionellen Sprechern oder sogar Schauspielern steht außer Frage. Die offenbar per Motion Capture animierten Gesichter sind ebenfalls äußerst ausdrucksstark. Zusammen mit einer dezenten szene-begleitenden Hintergrundmusik und der auflockernden Kameraführung in den kleinen Zwischensequenzen, wird der Spieler in seine eigene ganz persönliche interaktive Sherlock-Holmes-Filmwelt versetzt.

Da sich auch ein interessierter Zuschauer nicht wahllos jeden Film anschaut, ist natürlich die Auswahl der Fälle und deren spielerische Reichhaltigkeit ganz entscheidend. Deshalb noch zu jedem Fall ein kurzer Kommentar:

[u]Der schwarze Peter:[/u] Die literarische Vorlage war mir zufällig bekannt und der Fall konnte mit Leichtigkeit abgeschlossen werden. Aus dieser Perspektive also bestens geeignet, um die Steuerung und Tastaturbelegung besser kennen zu lernen.

[u]Das Rätsel auf den Gleisen:[/u] Ziemlich spannender Aufhänger am Anfang, der sich im Laufe des Falles aber relativ schnell aufklärt. Die weitergehenden Untersuchungen waren für meinen Geschmack eher ermüdend und belanglos, da ein eher untypisches macht- und geldpolitisches Grundthema vorherrschte.

[u]Das Blutbad:[/u] Mein persönlicher Favorit, obwohl dieser Fall das von mir in Adventurespielen so ungeliebte Labyrinth enthält. Man findet Anklänge an die römische Mythologie und Einblicke in die Archäologie. Dies ist der einzige Fall, bei dem man in klassischer Adventure-Manier Gegenstände zum Erhalt des Schlüsselelements miteinander kombiniert und in dem man streckenweise die Rolle von Doktor Watson übernehmen kann.

[u]Die Affäre Abbey Grange:[/u] Als eigene Geschichte sicher erzählenswert und herzergreifend, spielerisch gesehen aber eher leichte Kost. Die Schauplätze sind nicht sehr aufregend und die Rätsel wenig kreativ. Vermutlich der einzige Fall wo über 90% der Spieler auf denselben (korrekten) Täter gekommen sind.

[u]Das Drama von Kew Gardens:[/u] Mord und Intrigen werden spannungsvoll am Schauplatz eines scheinbar harmlosen Gewächshauses präsentiert. Voll gepackt mit unterhaltsamen Details und zahlreichen Zusammenhängen, die viele Schlussfolgerungen zulassen und den Spieler lange Zeit im Dunkeln tappen lassen.

[u]Schüsse bei Mondlicht:[/u] Der schwierigste Fall, der auch dem geübten Spieler alles abverlangt. Belohnt wird man mit unheilschwangerer Atmosphäre an zahlreichen Schauplätzen. Bei korrekter Lösung wird eine politisch-philosophische Fragestellung in den Raum gestellt, deren Antwort durch den Spieler abschließend die tatsächliche Gesinnung des Sherlock Holmes in Bezug auf revolutionäre Gedanken besiegelt.

Das vorliegende Spiel war aus meiner Sicht ein richtiger Leckerbissen. Neueinsteiger sollten wissen, dass das Genre sehr speziell ist. Hier liegt eben kein reines Point-And-Klick-Adventure im klassischen Sinne vor. Schon allein die 3D-Ansicht ist eher untypisch. Stattdessen bekommt der Spieler eine Melange aus verschiedenen Gaming-Zweigen präsentiert, deren einziger Zweck die Verkörperung einer literarischen Figur ist. Aber umso erstaunlicher finde ich, dass diese alte und wohl mittlerweile auch altmodische Figur sich so gut mit einer ganzen Bandbreite an technologischem Ideenreichtum verbinden lässt. Die Entwickler gehen in dieser Hinsicht noch ein Stück weiter und sehen in ihrem Werk Anklänge an Fjodor Dostojewskis Werk „Schuld und Sühne“, aus dem auch zitiert wird. Denn Sherlock Holmes ist durch sein außergewöhnliches Genie und seine herausragende geistige Kapazität in einer derart exponierten Stellung für die Londoner Unterwelt, dass er in jedem der 6 Fälle gleichzeitig Ankläger und Richter sein darf. Ein gewagter Vergleich des ukrainischen Entwicklerteams, der vielleicht als eine Entschuldigung für eine fehlende durchgehend neue Story zu verstehen ist. Denn die Neuerfindung einer Sherlock-Holmes-Geschichte war die Stärke des vorhergehenden Titels. Der Nachfolger ist spielerisch und technisch ausgereifter, geht aber inhaltlich keine neuen Wege. Stattdessen erreicht der Tiefgang – böse gesprochen – nur das Niveau eines über 100 Jahre alten Groschenheftes.

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