Hearts of Iron

Firma:
Paradox Entertainment
Jahr:
2002
System:
PC (Windows)
Genre:
Strategie
Tags:
Historisch / Multiplayer / Krieg
Sprache:
Englisch
Mittlere Wertung:
3/5

Meinung damals

Einsteiger werden von der Komplexität erschlagen, Profis freuen sich über unzählige mögliche Strategien.

Rüdiger Steidle, PC Games 5/2003 

Bericht von Mr Creosote (02.03.2024) – PC (Windows)

Die ersten beiden Europa-Universalis-Spiele waren bescheidene Erfolge gewesen in ihrer Nische. Paradox Entertainment handelte logisch und erweiterte das Angebot. Unter minimalem technischen Aufwand. Auf Basis der bekannten Engine möchten sie den größten aller militärischen Konflikte, den 2. Weltkrieg, simulieren.

Zum Glück stammt das Spiel von einem europäischen Entwickler und so beginnt das Szenario nicht erst 1941, sondern Mitte der 1930er Jahre. Die Zeit vor Kriegsausbruch ist also bereits spielbar. In der anderen Richtung darf der Krieg auch etwas länger dauern, als er es historisch tat. Selbst wenn eine der Seiten geschlagen ist, darf man weiterspielen. In den Kalten Krieg wagt es sich allerdings nicht vor, sondern behandelt von vornherein die sogenannten „Alliierten“ als zwei verschiedene Parteien – die sozialistischen Staaten sind zwar durch gemeinsame Feinde über weite Strecken mit den westlichen Mächten verbunden, aber verfolgen schon ihre eigenen Ziele.

Verglichen mit EU ist die Auflösung der Zeit natürlich deutlich hochgeschraubt. Statt Jahrhunderten werden wenige Jahre behandelt, trotzdem dauert eine Partie ebensolange. Die Militäroperationen werden in viel höherem Detailgrad dargestellt, während Diplomatie, Wirtschaft usw. auf rudimentäres Maß degradiert sind.

Das geht mit der breiten Auswahl militärischer Einheiten, die sogar bis zu einem gewissen Maße angepasst werden können, los. Sie können frei zu größeren Verbänden zusammengestellt werden. Bewegungs- und Angriffsbefehle können auf die Stunde genau geplant werden, so dass konzertierte Manöver leicht gelingen. Soweit Wetter und Feind mitspielen natürlich. Solcherlei Abstimmungen sind unter Verbündeten Nationen jedoch leider nicht möglich. Computergesteuerte Freunde agieren schon sinnvoll, aber eben vollständig autonom. Selbst basische gegenseitige Unterstützung ist nicht vorgesehen. Also deutscher Spieler auf ein Übersetzen der eigenen Panzer nach Afrika durch die italienische Flotte zu hoffen, ist müßig.

Man kann die Blitzkrieg-Strategie anwenden und seine schnellen Panzer die Reihen durchstoßen lassen. Oder aber ganz klassisch die Infanteriefront unisono und lückenlos vorrücken. Versorgungslinien sind dabei zu beachten. Kommandoeinheiten, die weit ins Feindesland vorstoßen, können dort einiges Chaos anrichten. Doch ohne funktionierenden Nachschub gehen sie auch schnell verloren. Solche taktischen Überlegungen erhöhen die taktische Tiefe signifikant und können selbst nominell schwächeren Armeen eine Siegchance geben, wenn sie geschickt eingesetzt werden. Über Land funktioniert das Versorgungssystem intuitiv, auf Seewegen muss man sich dagegen umständlich mit der manuellen Einrichtung von Konvois herumschlagen.

Im 2. Weltkrieg spielten zum ersten Mal von Anfang an auch Flugzeuge eine entscheidende Rolle. Die Lufthoheit zu erringen und zu nutzen stellt sich allerdings leider als recht nervige Sache heraus. Luftoperationen geschehen zu schnell, benötigen zu viele sich immer wiederholende Klicks, als dass man sie wirklich effektiv nutzen könnte. Sinnvolle Automatisierungsfunktionen fehlen. Raketenangriffe, inklusive nuklearer Schläge, sind ebensowenig befriedigend.

Der Technologiebaum ist da schon interessanter. Logischerweise liefen die militärischen Forschungszentren auf Hochtouren. Vergleicht man die deutschen Panzer, die 1939 die polnische Kavallerie (!) überrannten, mit den Modellen gegen Ende des Krieges, ist ein großer Sprung festzustellen. Die ersten Mittelstreckenraketen kamen zum Einsatz. Zum ersten Mal spielten U-Boote eine entscheidende Rolle. Zuguterletzt wurden dann sogar noch, als eigentlich alles bereits vorbei war, die ersten Atomsprengköpfe gezündet. Spielerisch stellt sich durch das große Weiterentwicklungspotential die spannende Frage langfristiger gegenüber kurzfristiger Strategie. Die geographischen Gegebenheiten, der Zugang zu Rohstoffen usw. legen unterschiedliche Prioritäten nahe bezüglich solcher Fragen wie der sofortigen Stärkung der Armee oder aber erstmal auf bessere Technik zu warten.

Auf taktischer Ebene kommen die Befehlshaber hinzu. Diese können, eventuell minimal inspiriert durch No Greater Glory, Armeen zugewiesen werden und somit deren Kampfkraft beeinflussen. Dabei spielt jedoch ihr Rang eine entscheidende Rolle. Rang und Kompetenz sind in spielerischer Hinsicht jedoch dekorreliert. Ein sehr fähiger Kommandeur kann also nur von niederem Rang sein. Was wiederum bedeutet, dass er nicht viele Einheiten befehligen darf. Diejenigen größerer Seniorität mögen dagegen gar nicht mal so toll sein. Was tut man also? Die alten Generäle große Divisionen mit fortschrittlicher Technologie anführen lassen? Oder lieber auf kleine Verbände unter dem Befehl der nächsten Generationen setzen, die als Kommandos gezielt zuschlagen? Wo wird der beste Kommandeur am ehesten gebraucht? Zur Verteidigung der eigenen Hauptstadt oder für den Vorstoß auf das feindliche Industriezentrum?

Mit derartigen Entscheidungen punktet Hearts of Iron. Mit digitalisierten Fotos historischer Generäle, technischen Zeichnungen usw. wird die Sache schön greifbar. Es ist schon Einiges passiert seit den klassischen Kriegsspielen der 1980er Jahre. Und doch gibt es wie auch damals doch noch so einige Ecken und Kanten. Einige wurden bereits erwähnt. Am schwerwiegendsten ist, dass ausgerechnet die Weltkarte, auf der sich immerhin alles abspielt, nicht alle essentiellen Informationen darstellt. Manche Zonen der Welt sind anscheinend besonders tödlich. Doch das findet man nur heraus, indem man eine Armee dorthinschickt und dann den Soldaten beim Sterben im Sekundentakt zusieht. Ebenso wie auch die Strahlungsintensität nach Nuklearangriffen geht das Spiel anscheinend davon aus, dass man sich dies einfach merkt.

Wie man’s auch dreht und wendet, ob man sich die guten oder die schlechten Seiten des Spiels anschaut, es ist und bleibt ein Spiel für Fans. Alle anderen geben ohnehin spätestens nach 30 Minuten auf, wenn sie hoffnungslos überrannt wurden. Was jedem Spieler beim ersten Versuch passiert.

Doch selbst für die spezialisierte Zielgruppe gibt es ein Problem, das die Langzeitmotivation erheblich einschränkt. Das Szenario ist schlicht und einfach zu eingeschränkt. Von der Dreiteilung zwischen westlichen Alliierten, Achsenmächten und Komintern kann man niemals abweichen. Und überhaupt schlägt das, was in EU noch ambivalent war, in diesem Spiel klar negativ zu Buche: die geskripteten Ereignisse. Solche sind natürlich notwendig, um den Krieg historisch in Gang zu bringen, vor allem anfangs. Doch andererseits hindern sie die Simulation daran, sich zu entfalten.

Allen Spielern ist natürlich bewusst, dass im März der sogenannte „Anschluss“ Österreichs geschehen und dann im September 1938 die Münchener Verträge unterzeichnet werden. Ohne, dass sich der deutsche Spieler das irgendwie verdienen muss. Die Zwangsläufigkeit dieser Historie diktiert das Handeln bis dahin. Natürlich könnte Deutschland auch davor den Krieg erklären. Doch das würde dann die historischen, „kostenlosen“ Annektionen verhindern, was eine solche Strategie (ungeachtet anderer Überlegungen) extrem unattraktiv macht. Als Frankreich weiß man, dass Deutschland die Maginotlinie durch Belgien umgehen wird. Also beginnt man sofort mit der Konstruktion von Festungen an dieser Grenze. Nicht, dass das die Panzer effektiv aufhalten wird – eine Siegchance besteht praktisch nicht.

In diesem Sinne ist Hearts of Iron durchaus ein lohnendes Spiel für Fans. In vielerlei Hinsicht ist es die Erfüllung der Träume eines Tabletop-Wargamers, insbesondere, was die Fülle an Details angeht. Doch entsteht durch diese Details auch Komplexität? Das Bestehen auf die historische Ausgangssituation (was die Befehlshaber angeht, die historischen Ereignisse usw.) entwertet das Spiel als Konfliktsimulation. Obwohl es vorgibt, eine solche zu sein. Man spielt hier genau einen spezifischen militärischen Konflikt nach, nicht mehr. Dieser Konflikt wurde in großem Detailgrad umgesetzt, aber genau diese Liebe zum Detail verhindert, dass es jemals höhere Sphären erklimmt. Letztlich ist es doch nur ein aufgepumptes Risiko. Das ein oder zweimal unglaublichen Spaß machen kann, aber danach muss ich es jeweils wieder für ein paar Jahre zur Seite legen, bevor ich auch nur die geringste Lust verspüre, es nochmal anzufassen.

Screenshots

PC (Windows)

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