Geopolitique 1990

Firma:
SSI
Jahr:
1984
System:
C64
Genre:
Strategie
Tags:
Brettspiel / Politik / Krieg
Sprache:
Englisch
Mittlere Wertung:
3/5

Meinung damals

Geopolitique 1990 hat keine besonders ansprechende Grafik, ist aber dafür ein Strategiespiel der absoluten Spitzenklasse. Nur schade, daß es nicht zu zweit spielbar ist.

Manfred Kohlen, Happy Computer Sonderheft 3/85 

Bericht von Mr Creosote (27.05.2023) – C64

Dass SSI ursprünglich für Strategic Simulations Inc. stand, erinnern leider viel zu wenige. Die Firma wurde von einem riesigen Kriegsbrettspielfan gegründet und ihr ursprüngliches Geschäft bestand darin, zahlreiche Titel in genau diesem Genre zu produzieren. Man wandte sich dabei an ebenso Eingeweihte, auf Zugänglichkeit wurde keine Rücksicht genommen. Aus der Nische kam die Firma erst, als sie sich einem zweiten Nerdthema annahm, den Rollenspielen. Mitte der 80er Jahre bekam sie den Zuschlag für die begehrte D&D-Lizenz und SSIs Image veränderte sich drastisch. 1983, als Geopolitique 1990 herauskam, war allerdings noch die Zeit des ursprünglichen SSI. Sozusagen auf ihrem ersten Höhepunkt, aber gleichzeitig höchst obskur.

Hexfelder gibt es immerhin nicht, aber die Weltkarte schreit trotzdem förmlich SSI. Sie stellt – hochabstrahiert – unsere Welt dar, aber wer schon Risiko für diesbezüglich ungenau hielt, wird hier wohl direkt eine Krise kriegen. Überraschend dagegen, dass obwohl das Spiel Armeen, Flotten und Luftkampf kennt, all dies erstmal zurückgestellt wird. Vorläufig.

Denn es handelt sich um eine Simulation des Kalten Krieges. Als faktischer Diktator der USA kämpft man in sieben Szenarien um die Weltherrschaft und bedient sich dabei diplomatischer, wirtschaftlicher und (als letztes) militärischer Mittel. Einziger aktiver Kontrahent ist die UdSSR. Die Sowjetregierung wird durch zufällig gewählte, namentlich genannte Männer repräsentiert, deren jeweiliges politisches Motto grob ihre Machtstrategie andeuten. Die beiden Supermächte sehen den Rest der Welt selbstverständlich nur als Schachbrett an.

Pro Zug (Jahr) investieren die Spieler ihr Budget (grob gesprochen) in diese drei Säulen. Die Wirtschaft zu stärken, sorgt in folgenden Zügen für mehr Taschengeld. Mittels Militär schreckt man den Feind ab oder übt Druck auf kleinere Nationen aus. Diplomatische Initiativen bringen Punkte, die man dann auf jene kleinere Nationen verteilen kann, um so mit ihnen Verträge oder Abkommen zu schließen. Wodurch letztlich die Wahrscheinlichkeit steigt, sie auf der eigenen Seite zu haben, falls oder wenn es doch mal heiß wird.

Gespielt wird per Text-Ein- und Ausgabe. Kahle Tabellen, knapp erklärt in der hochabstrakten Anleitung, repräsentieren die Lage der Nation. Man verteilt Gelder und gibt Befehle mittels eines unzugänglichen Parsers, der einem nicht die kleinste Abweichung verzeiht. Am schönsten sieht da tatsächlich noch die bereits erwähnte Weltkarte aus, auf der Statusinformationen zu Ländern ansatzweise visualisiert werden. Natürlich hochabstrakt codiert, mittels Kreuzen und Kreisen in zwei Farben, deren Bedeutung man gefälligst in der Anleitung nachzulesen hat.

Der Kern der Sache ist trotzdem ein höchst faszinierender. Wo die meisten SSI-Spiele von Infanterie, Panzern und Artillerie handeln, deren definierte Kampfwerte mit Würfeln kombiniert werden, um Schlachten zu simulieren, versucht sich Geopolitique 1990 an nichts anderem als der Simulation diplomatischer Machtpolitik. Womit viel subtilere Faktoren ins Spiel kommen als die Explosionsstärke der Granaten oder die Dicke der Panzerung.

Verhandlungen mit kleineren Nationen ähneln dabei einem Ballwechsel im Tischtennis. Der Aufschlag ist ein Vorschlag oder eine Bitte. Als Return erreicht einen dann eine erste Reaktion, die üblicherweise nicht gleich einschlägt. Man kann also den Druck erhöhen oder zurückziehen. Der Gegenüber kann die gegnerische Supermacht um moralische Unterstützung bitten. Je länger sich das Ping-Pong hinzieht, desto höher wird der Einsatz an Prestige. Also sozusagen das Potential, aus dieser Frage im globalen Ansehen gestärkt oder mit massivem Gesichtsverlust herauszukommen.

Hieraus ergeben sich sehr interessante Situationen. Was vielleicht als Kleinigkeit bezüglich eines Handelsvertrags mit Ostafrika begonnen hat, kann ganz schnell über das Schicksal der gesamten Welt entscheiden, wenn die Eskalation beginnt, und keine der Mächte mehr auch nur einen Millimeter zurückzuweichen bereit ist. Um genau diese Dynamik entwickelte zwei Jahre später Chris Crawford seinen Hit Balance of Power.

Im direkten Vergleich ist Geopolitique 1990 das abwechslungsreichere, aber auch konventionellere Spiel, da es nach der Kriegserklärung weitergeht. Wähnt sich eine Seite in einer überlegenen Position, kann sie losschlagen. Womit die aufgestellten Armeen nicht mehr nur eine drohend erhobene Faust in Verhandlungen sind. Und das Spiel wandelt sich quasi zum Vorläufer von SSIs Colonial Conquest.

Ein solches Spiel heutzutage noch wirklich zu genießen, ist natürlich nicht einfach. Es sollte klar sein, dass Präsentation und Bedienung geradezu archaisch sind. Das Spiel zu erlernen, also überhaupt mit ihm interagieren zu können, geschweige denn wirklich gut zu spielen, dauert. Es knirscht und knackt überall. Und doch finden sich darin hochinnovative Spielideen.

In der Umsetzung dieser Ideen stecken jedoch fundamentale Probleme. Zuerst wäre da der viel zu starke Einfluss des Zufallszahlengenerators zu nennen. Verhandlungen mit eigentlich bereits freundlich gesinnten Nationen stellen sich regelmäßig völlig ohne erkennbaren Grund auf den Kopf. Fairerweise sei erwähnt, dass auch der gegenteilige Fall, also urplötzliche Zustimmung eines kommunistischen Landes zu US-Forderungen, ebenso häufig passiert. Doch in einer normalen Partie wird man derartiges wohl gar nicht erst versuchen, oder? Wodurch der Spaß leider sehr schnell abebbt, obwohl dies der interessanteste Teil des Spiels sein sollte.

Der Krieg spielt sich da schon besser, aber er ist eben vergleichsweise konventionell. Wodurch das Spiel als Ganzes eine seltsame Melange aus einer originellen und ambitionierten, aber mangelhaft umgesetzten Hälfte sowie einer solide implementierten, aber unspektakulären anderen Hälfte besteht.

Die C64-Version kam ein Jahr nach dem Original heraus. Hier sind die beiden Hälften sogar noch klarer voneinander getrennt. Während der Friedensphase kann man nur die Marine aufbauen und selbst die kann noch nicht für den späteren Krieg in Stellung gebracht werden. Mag diese Phase implizit von der Vorbereitung eines Krieges handeln, indem man Wirtschaft und diplomatische Bande stärkt, so sind sämtliche explizite militärische Handlungen, die es auf dem Apple II noch gab, gestrichen.

Bricht der Krieg dann aus, kommt er auf dem C64 schneller zum Ergebnis. Auf dem Apple II zog sich alles hin, da nur wenige Armeen pro Runde in Bereitschaft gehen konnten. Die C64-Version erlaubt dagegen sofortige, breite Mobilisierung (sofern ausreichend Ressourcen vorhanden sind). Womit die Bedeutung des vorher hoffentlich gelungenen ökonomischen Wachstums noch steigt. In Kriegszeiten sind die Unterschiede zwischen den kleinen Staaten auf dem C64 dagegen verkleinert, so dass die gesamte Welt nun bedeutsam ist.

All das hebt die Bedeutung der politischen Spielphase stärker heraus. Den Krieg zu gewinnen, so er überhaupt eintritt, ist praktisch immer das Resultat erfolgreicher Machtpolitik vorher. Nicht kluger militärischer Strategie. Was vor dem Hintergrund der Ambitionen des Spiels Sinn ergibt. Es ist ein Spiel über den Kalten Krieg, auf dem C64 noch viel mehr. Eines, das nicht wirklich funktioniert. Es macht heute nicht mehr wirklich Spaß. Doch die Ideen sind faszinierend, ja waren sogar wegweisend, der Umfang des Simulierten ungekannt.

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