Die Stadt der Diebe

Andere Titel:
City of Thieves
Firma:
Puffin Books
Jahr:
1983
System:
Spielbuch
Genre:
Rollenspiel
Tags:
Kämpfen / Schwerter & Magie / Textbasiert
Sprache:
Englisch
Mittlere Wertung:
5/5

Bericht von Mr Creosote (24.06.2023) – Spielbuch

Ihre ersten Solo-Bücher hatten die unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden Games-Workshop-Gründer Ian Livingstone und Steve Jackson bereits angedeutet. Die Ausgaben vier und fünf zementierten ihren jeweiligen Ruf endgültig. Die Stadt der Diebe variiert die basische Formel der Abenteuerspielbücher nicht. Gewandtheit, Stärke, Glück, das war’s. Thematisch bleibt man ebenfalls bei seinem Leisten. Typischer Fantasy-Krams. Stattdessen optimiert Livingstone seine Formel der Schnitzeljagd und der Weltgestaltung.

Willkommen in Port Blacksand!
Willkommen in Port Blacksand!

Ausgehend von einer geradezu ausladenden Einleitung, die davon berichtet, wie der Bösewicht Zanbar Bone die Stadt Silverton terrorisiert, soll der Spieler die aufrechten Bürger von der nächtlichen Gefahr Bones wilder Bestien befreien. Indem er direkt an die Quelle geht, d.h. Bone höchstpersönlich einen mörderischen Besuch abstattet. Der allerdings in einem abgelegenen Turm residiert, von dem niemand so genau weiß, wo er sich überhaupt befindet. Na ja, fast niemand. Und überhaupt ist Bone kein Mensch und damit keinesfalls trivial zu töten. Nur der Magier Nicodemus kennt seine Schwäche. Dieser lebt jedoch in Port Blacksand, der berüchtigten Stadt der Diebe

Livingstone nannte sein Buch Die Stadt der Diebe. Nicht Der Fluch von Silverton oder Der Turm Zanbar Bones. Der wortreiche MacGuffin bemäntelt letztlich nur, dass der Schauplatz selbst der Star der Geschichte ist. Dieser Ort voller Halunken und Halsabschneider, die aber teilweise trotzdem ganz nette Typen sind, wenn man ihnen korrekt entgegenzutreten weiß. Wo ehrliche wie weniger ehrliche Geschäfte blühen. Wo, trotz Allem, gewisse Regeln befolgt werden und Autoritäten respektiert werden sollten.

Trotz knapper Formulierungen transportiert der Schreibstil einige Atmosphäre, während der Spieler sich durch enge Gassen schleicht, spärlich beleuchtete Geschäfte betritt oder in Häuser einbricht. Zu den Highlights zählen dabei der Marktplatz, inklusive eines Prangers und Schaustellern, sowie eine Villa an unerwarteter Stelle, die ein Geheimnis birgt, warum sie noch nicht dutzendmal ausgeraubt wurde. Dazu kommen dutzendweise kleine Szenen, die in sich gut funktionieren (all die zufälligen Begegnungen auf den Straßen), oder aber köstlich seltsam sind (die zwei streitenden Hexen).

Die Erkundung der Stadt unterhaltsam zu gestalten, ist sicherlich der wichtigste Knackpunkt, da man natürlich nicht beim ersten Versuch gewinnen wird. Wissen aus früheren (gescheiterten) Durchgängen ist notwendig, wie Livingstone bereits in der Einleitung des Buches eingesteht. Wobei er auch innerhalb der Geschichte immerhin einige Hinweise einbaut, die Spieler zu den wichtigen Abzweigungen zu lenken. Wo finden wir nur Nicodemus? Mindestens zwei Menschen in der Stadt können einem darüber Auskunft geben. Wie zum Teufel bekommt man eine magische Tätowierung? Vielleicht läuft man zufällig bei einem Tätowierer vorbei, aber mehrere andere Leute können einem bereits vorher die richtige Straße nennen.

Ein weiterer großer Bestandteil des Spiels ist das Geld. Die Spieler finden Gold, geben es aus, werden beraubt usw. Mehrere Objekte können erworben werden, die das Abenteuer leichter gestalten. Insbesondere für die essentiellen Quest-Gegenstände erlaubt Livingstone darüber hinaus alternative Zahlungsweisen. Puh, das ist echt fair!

Natürlich ist das Buch nicht perfekt. Wie in der Reihe üblich finden sich Wahlmöglichkeiten, die einen exklusiv in eine Richtung abbiegen lassen, ohne dass es inhärenten Sinn ergibt. Beispielsweise betritt man Straße X, macht dort etwas, aber danach kann man nicht mehr zurückgehen zu Straße Y. Was auch immer in letzterer ist, bleibt also verborgen. Meist ist das kein großes Ding, denn tatsächlich führen viele Wege zum Ziel. Mit wenigen Ausnahmen, die einen dann doch weiterspielen lassen, obwohl bereits keine Chance aufs Gewinnen mehr besteht.

Regelrecht unschön wird’s dann nach Verlassen Port Blacksands, wenn man den Turm Zanbar Bones erreicht. Was dort geschieht, ist nur noch frustrierend müßig. Nicht nur erwarten einen plötzlich unumgehbare Kämpfe der Marke extra-schwer, es häufen sich auch die sofortigen Tode und – am Schlimmsten – rein zufällige Entscheidungen, die ebenfalls direkt zum Scheitern führen. Ohne jeglichen Hinweis, was evtl. angebracht wäre. Besonders seltsam im Hinblick auf den Eingangstext, in dem Livingstone eben von mehrmaligem Spielen sprach. Man nehme mal theoretisch an, eine zufällige 2/3-Chance sei eine valide „Herausforderung“ am Ende. Doch wo ist der Sinn, da man es beim wiederholten Spielen doch bereits wissen muss, was die korrekte Antwort ist?

Na gut, gehen wir nicht zu streng mit ihm ins Gericht. Er gab seinem Buch den Titel Die Stadt der Diebe, keinen anderen denkbaren. Das Ende hat er verpfuscht. Es ist verzeihlich. Angesichts dessen, dass all das Vorige, also die Erlebnisse in der Stadt, eine so schöne Reise, solch herrlicher Spaß waren. Wer erfahren möchte, warum diese Abenteuerspielbücher nicht nur kommerziell abräumten, sondern eine Zeit lang geradezu zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen anwuchsen, der ist hier richtig. Klar, Der Hexenmeister vom flammenden Berg ist als Startschuss historisch gesehen viel wichtiger, aber erst hier findet sich eine viel besser ausgearbeitete, viel unterhaltsamere Erfahrung.


  1. Quest:

    Aufgabe, die der Spielercharakter erhält, häufig in Rollenspielen.  ↩︎

Screenshots

Spielbuch

Bild Bild Bild Bild

Dateien

Box

Spielbuch

Bild