Die Insel des Echsenkönigs

Andere Titel:
Island of the Lizard King
Firma:
Puffin Books
Jahr:
1984
System:
Spielbuch
Genre:
Rollenspiel
Tags:
Kämpfen / Schwerter & Magie / Textbasiert
Sprachen:
Englisch / Deutsch
Mittlere Wertung:
4/5

Bericht von Mr Creosote (05.08.2023) – Spielbuch

Ian Livingstone hatte einen richtigen Lauf, haute ein Buch nach dem anderen raus, als es klar wurde, dass die Reihe ein Hit war. Für sich gesehen brachten die Bücher keine revolutionären Neuerungen, aber sie zeigten schon kontinuierlichen Fortschritt. Einen klaren Willen, die etablierte Formel zu erweitern.

In diesem Sinne lässt Die Insel des Echsenkönigs als erstes Buch der Reihe seinen Protagonisten nicht etwa ein Söldner sein, der auf Ruhm und Geld aus ist. Vielmehr möchte er seinen Freund Mungo darin unterstützen, Sklaven aus der Gefangenschaft der bösen Echsenmenschen zu befreien. Mungo erwischt es so ungefähr nach drei Absätzen, was der Spieler nicht verhindern kann. Sein Tod soll wohl einen Motivationsschub geben. Obwohl für Mungo immerhin ein wenig Persönlichkeit angedeutet wurde, bleibt die tiefe Freundschaft, die ihn angeblich mit dem Protagonisten verbindet, eine Behauptung. Erleben kann man sie nicht, wodurch die emotionale Ebene leider ziemlich auf die Schnauze fällt.

Im späteren Verlauf der Geschichte befreit der Spieler Sklaven aus einer Goldmine (nachdem man sich durch ein viel zu langes Labyrinth gekämpft hat). Der Spieler führt sie im Sturm auf die Festung des Echsenkönigs an. Doch ist ihre Befreiung so ungefähr die Mitte der Geschichte, der Angriff auf die Festung das Ende. Zwischendurch ist der Spieler wieder auf sich allein gestellt, unter schwachem Vorwand. Wahrscheinlich, da Livingstone den Umgang mit einer großen Gruppe im spielerischen Sinne vermeiden wollte. Und selbst, wenn dann die klimaktische Schlacht stattfindet, lässt Livingstone den Protagonisten wiederum die Festung allein betreten.

Zum Vergleich könnte man Einsamer Wolf heranziehen. Dessen erster Band wurde im gleichen Jahr veröffentlicht. Auch dort findet nach der Hälfte der Geschichte eine epische Schlacht statt. Die Spieler werden explizit aufgefordert zu entscheiden, ob sie gemeinsam mit ihren Freunden weiterkämpfen möchten. Was dann zwangsweise, nach vergeblichen Mühen, zur Niederlage und somit einem schlechten Ende führt. Beide Geschichten erwarten von ihren Spielern, die Freunde im Stich zu lassen für die große Sache. Nur gestaltet Einsamer Wolf dies als die schwierigste, schmerzhafteste Entscheidung des gesamten Buches, da es erzählerisch keinen Zweifel daran lässt, dass alle sterben werden. Wohingegen der Echsenkönig über das moralische Dilemma einfach hinwegfegt und das Vorgehen diktiert. In einem Buch, in dem es um Entscheidungen gehen sollte.

Soll heißen, das Buch zieht keinen der beiden Belange konsequent durch. Kleinere Momente von Licht und Schatten gesellen sich dazu. Die sich wiederholende Erwähnung des drohenden Vulkans am Horizont bringt einige Atmosphäre hinein. Dass man Gollum trifft, der einen durch den Sumpf führt, erst auf sicherem Pfad, aber schließlich dann natürlich doch direkt in eine Monsterhöhle, kommt abenteuerlich rüber. Ebenso wie auch die immerhin zwei Zusammentreffen mit „Höhlenfrauen“, die ihre Fellbikinis allzu gut ausfüllen, perfekte Frisuren und rasierte Beine zur Schau stellen – wer erinnert sich da nicht an Raquel Welch in Eine Million Jahre vor unserer Zeit ? Brauchte es diese Szenen? Natürlich nicht. Die ganze Episode mit dem Pygmäen ist andererseits wirklich unpassend im Bezug auf den Plot und wirkt klar wie Füllmaterial.

Und doch stellt sich schleichend die Erkenntnis über eine unerwartete spielerische Stärke des Buches ein. Direkt entgegen des vorigen Buches gibt es fast keine plötzlichen Todesfallen. Sein Glück muss man zwar regelmäßig versuchen, aber scheitert dies, ist die Geschichte nicht zu Ende, sondern das Vorankommen wird nur etwas schwieriger. Und man glaubt es kaum, man kann praktisch jeden Weg durchs Buch nehmen und trotzdem theoretisch die Chance wahren, noch zu gewinnen. Gute Entscheidungen erhöhen die Siegchancen, belohnen die Spieler mit besserer Ausrüstung usw. Doch spielt man einen Muskelmann mit hoher Gewandtheit, kann man durchaus versuchen, mit gezogenem Schwert direkt zur Festung zu stürmen und alles andere links und rechts liegen zu lassen. Quest-Objekte gibt es, aber auch sie haben nur unterstützende Wirkung, anstatt unabdingbar zu sein.

Alles in Allem kommen bei der Insel des Echsenkönigs gemischte Gefühle auf. So richtig schlecht ist an sich kaum etwas. Die positiven Beobachtungen überwiegen. Für Veteranen bleibt jedoch der Eindruck vergebener Chancen. Hier wird ein episches Abenteuer angekündigt, doch dann wirkt im Konkreten alles sehr klein. Die impliziten Versprechen werden nicht eingelöst. Das Buch ist gut, aber lange nicht so gut, wie es hätte sein sollen. Für Neulinge des Genres könnte es andererseits genau richtig sein.

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